ℹ️ Neuere Studien liefern starke Belege für eine Schlüsselrolle der Pathophysiologie der Skelettmuskulatur bei ME/CFS.
➡️ Ergebnisse
📌 Eine mitochondriale Dysfunktion ist eine seit langem vertretene Annahme zur Erklärung der Kardinalsymptome von ME/CFS. In Leukozyten konnte eine mitochondriale Dysfunktion jedoch nicht überzeugend nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu liefern neuere Studien starke Beweise für eine mitochondriale Dysfunktion im Skelettmuskelgewebe bei ME/CFS.
📌 Eine Elektronenmikroskopiestudie konnte eine Schädigung der Mitochondrien in der Skelettmuskulatur von ME/CFS-Patienten mit bevorzugter subsarkolemmärer Lokalisation direkt nachweisen, nicht jedoch bei Post Covid Syndrom (PCS).
📌 Eine andere Studie zeigt Anzeichen von Skelettmuskelschäden und Regeneration in Biopsien, die einen Tag nach körperlicher Betätigung bei PC-ME/CFS entnommen wurden.
📌 Das gleichzeitige Vorhandensein von Nekrosen und Anzeichen von Regeneration unterstützt die Theorie einer wiederholten Schädigung.
📌 Andere Studien korrelierten eine verminderte Handgriffstärke (HGS) mit der Schwere der Symptome und der Prognose.
📌 Eine MRT-Studie zeigte, dass der intrazelluläre Natriumspiegel in den Muskeln von ME/CFS-Patienten erhöht ist und dass die Werte umgekehrt proportional zur HGS sind. Dieser Befund untermauert unsere Vorstellung von Natrium- und nachfolgender Kalziumüberladung als Ursache von Muskel- und Mitochondrienschäden, die durch einen verstärkten Protonen-Natrium-Austausch aufgrund anaerobem Stoffwechsel und verminderter Aktivität der Natrium-Kalium-ATPase verursacht werden.
📌 Die histologischen Untersuchungen bei ME/CFS schließen Ischämie durch mikrovaskuläre Obstruktion, virale Präsenz oder Immunmyositis aus. Der einzige bekannte, durch körperliche Betätigung verursachte Schadensmechanismus ist eine durch Natrium verursachte Kalziumüberladung.
📌 Wenn die Ionenstörung und die mitochondriale Dysfunktion schwerwiegend genug sind, kann der Patient in einen Teufelskreis geraten. Dieses Energiedefizit ist die wahrscheinlichste Ursache für Belastungsintoleranz und postbelastungsbedingtes Unwohlsein und wird durch körperliche Anstrengung noch verschlimmert.
➡️ Schlussfolgerung und therapeutischer Ausblick
📌 Schäden an der Skelettmuskulatur und an den Mitochondrien sind nun endlich nachgewiesen und können Belastungsintoleranz und PEM erklären. Die verminderte Skelettmuskelkraft als Biomarker für Muskelschäden korreliert mit anderen Schlüsselsymptomen und weist darauf hin, dass sie im Pathomechanismus eine zentrale Rolle spielt.
📌 Eine sich selbst reproduzierende mitochondriale Dysfunktion stellt höchstwahrscheinlich die letzte und häufigste Störung von ME/CFS dar, die die Patienten in einem Teufelskreis gefangen hält, aus dem sie kaum entkommen können. Da die Krankheit in diesem Stadium selbsterhaltend ist, führt die Behandlung des ursprünglichen Auslösers, z. B. eines hartnäckigen Virus oder einer Gefäßentzündung, höchstwahrscheinlich nicht zu einem Therapieerfolg.
📌 Derzeit werden Behandlungsstrategien verfolgt, um die Gefäßdurchblutung zu verbessern. Die Hemmung der Acetylcholinesterase durch Mestinon R hat das Potenzial, die Durchblutung durch Erhöhung der Vorlast und des Herzzeitvolumens zu verbessern.
📌 Der Guanylatcyclase-Aktivator Vericiguat induziert eine Vasodilatation durch direkte Stimulation des Vasodilatators cGMP in einer Stickoxid-ähnlichen Weise (NCT05697640).
📌 Ein Anstieg des cGMP kann auch die Verformbarkeit der Erythrozyten verbessern.
📌 Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Depletion oder Neutralisierung von Autoantikörpern, die sich gegen vasoregulatorische GPCR-Rezeptoren richten. Eine Immunadsorption, die Autoantikörper vorübergehend entfernen kann, zeigte in Beobachtungsstudien eine Symptomlinderung bei zwei Dritteln der Patienten und eine Normalisierung der verminderten Endothelfunktion.
📌 Neue Behandlungen, die sich effizient gegen Autoantikörper-produzierende B-Zellen oder Plasmazellen richten, können eine effektive und langanhaltende Depletion von Autoantikörpern erreichen; erste Studien hierzu laufen bereits.
📌 Ein innovatives Konzept zur Neutralisierung von GPCR-Autoantikörpern mit einem Aptamer wird derzeit in einer multizentrischen Phase-II-Studie getestet (NCT05911009). Autoantikörper spielen jedoch wahrscheinlich nicht bei allen ME/CFS- und PCS-Patienten eine Rolle.
Quelle: onlinelibrary.wiley.com