ℹ️ Der Film zeige „Betroffene, die weder sprechen noch sitzen können, manche liegen seit Jahren im Dunkeln, andere sitzen im Rollstuhl und sind arbeitsunfähig“, erzählt die 1964 geborene Berlinerin Sibylle Dahrendorf, eine Dokufilmregisseurin, die selbst an ME/CFS erkrankt ist. Alle seien aus ihrem Leben gerissen worden, manche erlägen der Erkrankung, weil sie keine Hilfe bekämen, oder nähmen sich das Leben.

📌 Daniela Schmidt-Langels machte sich 2023 mit einem Filmteam auf eine lange Reise durch Deutschland, nach Österreich, England und in die USA. In Boston sprach sie unter anderem mit dem Neurowissenschaftler Michael VanElzakker von der Non-Profit-Organisation PolyBio, die gezielt „infektionsassoziierte Erkrankungen“ erforscht. Im Film erklärt er, worum es sich bei ME/CFS überhaupt handelt.

➡️ Die Abkürzung ME stehe für Myalgische Enzephalomyelitis, sagt er. Dies sei ein eher historischer Begriff. 1969 klassifizierte die Weltgesundheitsorganisation ME als neurologische Erkrankung.

➡️ CFS wiederum steht für Chronisches Fatigue-Syndrom. „Der Name CFS wurde in den 80er-Jahren in den USA geprägt und beruht auf einem offensichtlichen Ausbruch einer Infektionskrankheit in Nevada.“

➡️ Beide Begriffe wurden kombiniert. 

📌 Mila, die junge Österreicherin erkrankte 2018 mit 16 Jahren an ME/CFS. Zum schweren Pflegefall wurde sie zwei Jahre später nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus. Die Krankheit sei für sie wie ein „unendlich langer, kalter, abweisender dunkler Tunnel“, sagt sie.

 📌 So vielfältig wie die Symptome sind auch die Auslöser für die Krankheit. Dazu gehören Infektionen (Eppstein-Barr, Influenza, Sars-CoV-2), Herpes-Reaktivierungen, Unfälle und Medikamentenschäden, etwa durch Fluorchinolone, eine bestimmte Antibiotika-Gruppe, von Sibylle Dahrendorf „Atombomben für die Zellen“ genannt. In der Corona-Pandemie kamen viele Betroffene hinzu – vor allem durch das Virus selbst, aber auch durch die Impfung.

📌 Es gibt zugleich Überlappungen von ME/CFS zu anderen multisystemischen Erkrankungen, etwa der Small-Fiber-Neuropathie, dem Mastzellaktivierungssyndrom, dem Ehlers-Danlos-Syndrom (einer Gruppe von Bindegewebserkrankungen).

📌 Oft geht mit ME/CFS auch das Posturale Tachykardiesyndrom (Pots) einher, bei dem die Betroffenen beim Aufstehen unter Herzrasen, Schwäche und Schwindel leiden. Beeindruckend ist der Selbsttest, bei dem Sibylle Dahrendorf zeigt, wie allein durch das Hinstellen ihr Puls in kürzester Zeit von 80 auf 149 Schläge pro Minute steigt, wie ihre Füße anfangen zu brennen und blaurot anlaufen. „Das ist eine komplette Fehlstellung des autonomen Nervensystems“, sagt Dahrendorf.

 📌 Die Vielfalt der Symptome und Begleiterkrankungen von ME/CFS erschwert eine eindeutige Diagnose. Sogar in der Neurologie werde ME/CFS nach wie vor nicht ernst genommen, kritisiert der Wiener Neurologe Michael Stingl. Hier herrsche die Meinung vor, es sei eine psychosomatische Problematik – und das, obwohl vergleichende wissenschaftliche Studien zeigten, dass ME/CFS „eine der schwerwiegendsten Erkrankungen überhaupt“ sei.

📌 „Studien zeigen Hinweise auf anhaltende Entzündungen, Autoantikörper, gestörte Gefäßfunktion, sowie Persistenz von Virusbestandteilen“, fasst das Portal des Charité-Fatigue-Centrums zusammen.

📌 Nach für ME/CFS typischen Antikörpern sucht zum Beispiel die Professorin Carmen Scheibenbogen vom Charité-Fatigue-Centrum in Berlin. Sie leitet mehrere Studien. In einer „Art von Blutwäsche“ werden etwa „schädliche Autoantikörper im Blut des Patienten außerhalb des Körpers entfernt“, wie im Film erklärt wird. „Das gereinigte Plasma wird anschließend zurückgeführt.“ Scheibenbogen wolle herausfinden, welcher Patient von einer solchen Immunadsorption profitiere und ob dieses aufwendige Verfahren durch Medikamente ersetzt werden könnte.

📌 Bereits 1991 hatten britische Neurologen herausgefunden, dass bei ME/CFS die Mitochondrienfunktion gestört ist. Doch diese Erkenntnis sei in den Londoner National Archives verschwunden, heißt es in der Doku. Stattdessen hätten englische Psychiater die These publiziert, dass ME/CFS psychisch sei. Ihre Studien seien vom britischen Ministerium für Arbeit und Renten finanziert worden. „Wenn man darstellen kann, dass eine Krankheit psychisch ist, sind die Leistungen, die man zahlen kann, geringer als bei einer sogenannten organischen Krankheit“, sagt Asad Khan. Offenbar gefalle das den Versicherungen und den Leistungsträgern. 

 📌 Die Filmemacher fragten Verantwortliche verschiedener großer Pharmafirmen für ein Gespräch an, aber niemand war dazu bereit, wie es heißt. Dahinter steckt leider ein echtes Problem. Denn für die Pharmaindustrie seien „bislang die Daten nicht klar genug“, um klinisches Studien zur Entwicklung neuer Medikamente aufzulegen, sagt Carmen Scheibenbogen.

📌 Sie brauche „gut erforschte Krankheitsmechanismen“, sagt auch der Gesundheitsökonom und Philosoph Afschin Gandjour aus Frankfurt am Main. Für die Entwicklung eines neuen Medikaments würden etwa drei Milliarden Euro benötigt, sagt Gandjour. Deshalb liegt die Hoffnung vor allem auch auf Off-Label-Nutzungen von bereits existierenden Mitteln, die gegen andere Krankheiten zugelassen sind.

📌 Von Gesundheitsminister Karl Lauterbach wollte man wissen, „welche Konzepte er hat, um zeitnah angemessene Therapien und Versorgungsstrukturen zu schaffen“. Ein Gespräch wurde abgelehnt. Begründung aus dem Ministerium: Er habe sich bereits „umfassend dazu geäußert“. Doch bisher hat sich offenbar in der Praxis nichts gebessert, obwohl Lauterbach erst jüngst auf eine bessere Vergütung für Ärzte verwiesen hat, die bei Fällen von Long-Covid und ME/CFS mit anderen Ärzten kooperieren. 

➡️ Doch die Versorgung der Kranken leisten dem Film zufolge vor allem Angehörige.

➡️ Die meisten Ärzte wüssten noch immer nicht viel über ME/CFS.

➡️ In der Reha würden Erkrankte noch immer oft dramatisch falsch behandelt, sagt Carmen Scheibenbogen. Sie spricht von einem „dunklen Kapitel in der Medizingeschichte“.

Quelle: Berliner Zeitung