ℹ️ Autor: Martin Rücker 

📌 Weil für ME/CFS-Erkrankte geeignete Pflegeeinrichtungen fehlen, will eine Gruppe schwer Erkrankter selbst eine gründen – doch sie kämpft gegen Windmühlen.

📌 Das Familienanwesen steht in Butzow, einem gut 200 Einwohner großen Örtchen unweit von Brandenburg an der Havel, leer. „Wir haben so eine schöne Fläche, das soll auch genutzt werden“, sagt Eilert. Das Projekt gestaltet sich allerdings schwierig. 

📌 Die Frau, die es gestartet hat und die lieber heute als morgen nach Butzow ziehen würde, hat den Dreiseithof noch nie in echt gesehen. Franziska, 54, liegt mit hochgestelltem Kopfteil im Bett in ihrer Wohnung in Berlin-Schöneberg. 

📌 Das Projekt „Oase“ ist für sie eine Art Flucht aus der Verzweiflung. Seit mehr als 20 Jahren leidet die Illustratorin an ME/CFS.

📌 Immer mehr fragte Franziska sich, ob sie das Leben in ihrer Wohnung noch bewältigen könne. In einer Online-Selbsthilfegruppe tauschte sie sich mit anderen ME/CFS-Betroffenen aus – unter ihnen viele, die diese Mischung aus Krankheit und Alleinsein ebenfalls nicht mehr ertrugen.

📌 Ein Wohnprojekt speziell für ME/CFS-Erkrankte müsste es geben, dachten sich manche. „Ein heilsames, akzeptierendes Umfeld mit Kontakt zu anderen Menschen – aber nur so viel, wie es gerade geht“, sagt Franziska.

📌 Passende Betreuungsangebote und Pflegeeinrichtungen für ME/CFS-Erkrankte fehlten „vollständig“, Pflegedienste kennen sich mit den besonderen Anforderungen der Patienten kaum aus.

📌 Auch die Charité-Immunologin Carmen Scheibenbogen forderte im Mai bei der Long-Covid- und ME/CFS-Digitalkonferenz „UniteToFight“: „Wir müssen spezielle Betreuungsstrukturen für diese Menschen entwickeln.“

📌 Mit „wir“ meinte Scheibenbogen sicher nicht die Betroffenen selbst. Für Franziska aber stand fest: Wenn sie an ihrer Situation etwas ändern wollte, müsste sie das selbst in die Hand nehmen.

📌 2020 startet sie eine Facebook-Gruppe, um zu sehen, ob andere ME/CFS-Patienten genauso dachten wie sie. In kurzer Zeit melden mehr als 200 Menschen Interesse an. Ein kleiner Kern von ihnen kommt enger ins Gespräch, entwickelt die Idee der Wohngruppe: ein geschützter Raum für Betroffene, vielleicht auch mit Angehörigen, ruhig gelegen und mit Zugang zur Natur.

📌 Ende 2022 beginnt ein reger Austausch. Intern gibt auch AWO-Potsdam-Chefin Angela Schweers grünes Licht für die Unterstützung des Projekts. Im Sommer 2023 aber werden die Mails der AWO-Verantwortlichen an Franziska kürzer, der Ton wird förmliche. Irgendwann bleiben auf ihre Nachfragen die Reaktionen aus.

📌 Als sie Ende Februar 2024 nach langer Zeit noch einmal nachfasst, fällt die Antwort knapp aus: „Wir haben die aktuelle Situation nochmal angeschaut. Für Ihr Projekt gibt es bei der momentanen Lage am Markt keine Refinanzierungsmöglichkeiten."

📌 Ob die Oase real wird oder eine Fata Morgana bleibt, hängt jetzt am Geld. Rund 800.000 Euro, vielleicht etwas mehr, müsste der Hofbesitzer einer Kostenberechnung zufolge in die Sanierung investieren. Für ihr Projekt versuchen die Partner händeringend, eine Förderung zu bekommen – denn was Eilert aus Krediten bezahlt, müsste er auf die Miete umlegen. „Wenn wir alles bezahlen müssten, können sich die Menschen das Wohnen nicht mehr leisten“, sagt Stephanie. Sie ist die einzige aus Franziskas Gruppe, die den Butzower Hof bisher mit eigenen Augen gesehen hat.

📌 Sie planen ein Crowdfunding und Baucamps für die Abbrucharbeiten. Doch das alles wird kaum reichen, um das Projekt zu finanzieren. Helfen sollen deshalb Anträge bei Stiftungen, was trotz der Not alles andere als ein Selbstläufer ist. Als echte Hürde stellt sich heraus, dass ME/CFS so unbekannt ist, dass den Stiftungen das Maß der Behinderung von Betroffenen erst einmal erklärt werden muss.

Quelle: Berliner Zeitung