Von Jana Petersen (Text) und Oliver Sperl (Illustrationen)
ℹ️ #LongCovid erschien vor fünf Jahren als Hashtag auf Social Media, lange bevor die WHO den Namen als offizielle Bezeichnung der Krankheit übernahm. Für viele der Betroffenen, deren Welt geschrumpft ist, machen Instagram und X eine Tür nach draußen auf. Und schaffen eine Möglichkeit, laut zu sein. Unsere Autorin spricht aus Erfahrung
📌 Der Hashtag wanderte durch Online-Räume, von Twitter – heute X – über Foren bis zu Instagram, Facebook, Youtube und in Messengergruppen bei Whatsapp, Signal und Telegram. Bis heute. Doch #LongCovid steht nicht nur für eine der am häufigsten auftretenden chronischen Krankheiten weltweit – der Hashtag prägt bis heute das Leben vieler Betroffener. #LongCovid symbolisiert eine soziale Bewegung, eine heterogene Community, die sich seit fünf Jahren auf Social Media formt.
📌 Wie viele Long-Covid-Betroffene habe ich ME/CFS, eine schwere Krankheit. CFS steht für Chronisches Fatigue-Syndrom. Der Name ist irreführend, denn das Leitsymptom ist nicht Müdigkeit, sondern die sogenannte PEM, die post-exertionelle Malaise. Das ist eine spezifische Form der Belastungsintoleranz, die ein sorgfältiges Abwägen aller Anstrengungen erfordert.
📌 ME/CFS kann durch unterschiedliche Viren verursacht werden, also nicht nur durch Covid. Als Anfang 2020 aus Wuhan erste Berichte über das neue Virus gemeldet wurden, warnte die ME/CFS-Community auf Social Media vor den postviralen Symptomen, die Covid hervorrufen könnte. Viele der genauen Mechanismen der Erkrankung sind immer noch ungeklärt, aber Studien belegen, dass dabei unter anderem der Energiestoffwechsel und das Immunsystem gestört sind.
📌 Auch wenn Long Covid und ME/CFS nicht identisch sind (nicht alle Long-Covid-Betroffenen entwickeln ME/CFS, nicht jedes ME/CFS ist post-Covid), so sind die Krankheiten doch vielfältig verbunden, nicht nur medizinisch, sondern auch in ihrem Krankheitserleben. Zudem überschneiden sich die Communities; der Hashtag #mecfs wird besonders häufig mit #LongCovid zusammen benutzt.
📌 Als Menschen, für die das Internet oft der letzte erreichbare Raum ist, sind wir Long-Covid-Kranken auch zur Zielgruppe geworden. Auf Instagram preisen mir Anzeigen teure Präparate an, Vitamine, Aminosäuren, Mineralstoffe. Die Kapseln und Pülverchen sind in allen Selbsthilfe-Chats ein Dauerthema, weil immer wieder neue Studien erscheinen, die positive Wirkungen auf bestimmte Symptome andeuten. Es ist eine schwierige Balance: Probiere ich all die Nahrungsergänzungsmittel aus, auch wenn es nur wenige Erkenntnisse dazu gibt?
📌 Neben der finanziellen Belastung, die das bedeuten kann (ich habe in den vergangenen Jahren geschätzt den Gegenwert eines gebrauchten Kleinwagens geschluckt), können die Mittel in bestimmten Kombinationen oder Dosierungen sogar schaden.
📌 Vor allem auf Instagram tauchen auch immer mehr selbsternannte Health Influencer*innen auf, die für viel Geld Healing-journey-Programme anbieten. Man brauche nur das richtige Mindset, heißt es da, dann könne man ME/CFS überwinden. Keine Frage: Atemübungen und Meditation können sich positiv auf die Krankheitsbewältigung auswirken. Aber Heilung im medizinischen Sinne bedeutet das nicht. ME/CFS lässt sich nicht wegatmen – sonst wäre ich längst gesund.
📌 Marco Leitzke , Oberarzt der Helios-Klinik im sächsischen Leisnig, hatte bereits 2023 in einer Studie die Hypothese formuliert, Long Covid könne mit einer Störung der Signalweiterleitung an Nervensynapsen zusammenhängen – ein Mechanismus, den Nikotin beeinflusst. Die Idee war spekulativ, doch sie traf auf eine Community, die offen ist, für Linderung alles Mögliche zu testen – auch handelsübliche Nikotinpflaster auf Körperteile zu kleben. In der Facebook-Gruppe „The Nicotine Test – Patients helping Patients“ tauschen sich mehr als 23.000 Betroffene über die Wirkung aus.
📌 Die Informationsgewinnung über Long Covid auf Social Media geht weit über das Beispiel des Nikotinpflasters hinaus. Betroffene arbeiten mit Forschenden zusammen, sie sensibilisieren für zentrale Symptome, initiieren Umfragen, dokumentieren Therapieversuche. Die „Patient-Led Research Collaborative for Long COVID“ sammelt Daten und wertet sie aus. Das Citizen-Science-Projekt "remissionbiome" postet regelmäßig auf X Ergebnisse seiner Forschungsreihen experimenteller Therapien am eigenen, kranken Körper.
📌 An schlechten Tagen wende ich die 30-Sekunden-Regel an, die ich auf Youtube gelernt habe. Jetzt wird es kurz ein bisschen medizinisch. Weil das Blut von ME/CFS und Long-Covid-Betroffenen nicht optimal zirkuliert, kommt es zu Sauerstoffmangel. Diese Unterversorgung versucht der Körper durch schnelleres Atmen und höheren Herzschlag auszugleichen. Klappt das nicht, stellt der Körper auf eine andere Form der Energiegewinnung um, bei der als Nebenprodukt Laktat entsteht, Milchsäure.
📌 Der Aktivismus, der sich aus dieser Vernachlässigung entwickelt, ist auch eine Art Notwehr. Denn er findet oft aus der Horizontalen statt. Viele Betroffene sind körperlich so eingeschränkt, dass klassische Protestformen wie Demonstrationen für sie nicht möglich sind.
Quelle: TAZ