Traditionell sorgen die Selbstzahlerleistungen – abgekürzt IGeL – oft für Ärger bei den Patientinnen und Patienten, weil sie sich von den Ärzten dazu gedrängt fühlen. Was sollte hier geschehen?
Die regelmäßigen Untersuchungen des Medizinischen Dienstes zeigen, dass die große Mehrheit des IGeL-Angebots keinen erkennbaren Nutzen hat. Einige schaden sogar, weil sie häufig falsch positive Befunde liefern und dadurch unnötige weitere Untersuchungen und Eingriffe nach sich ziehen.
Ich fordere ganz klar: Leistungen, die von den medizinischen Fachgesellschaften als schädlich bezeichnet werden, haben in Arztpraxen nichts zu suchen und gehören verboten, auch im Rahmen von IGeL.
Herr Schwartze, glaubt man den Ärzteverbänden, steht die medizinische Versorgung in Deutschland unmittelbar vor dem Kollaps. Merken Sie das in den Anfragen der Bürgerinnen und Bürger?
Das ist übertrieben. Allerdings hören wir tatsächlich viele Klagen darüber, dass es große Probleme gibt, einen Termin beim Haus- oder Facharzt zu finden.
Bei welchen Krankheiten suchen die Menschen Rat?
In der Mehrzahl der Fälle geht es um Long Covid und ME/CFS – also das chronische Erschöpfungssyndrom. Die Zahl der Betroffenen ist inzwischen sehr, sehr hoch.
Weil das Wissen auch in der Ärzteschaft fehlt, werden sie schnell in die Ecke einer psychischen Erkrankung gestellt, wo sie definitiv nicht hingehören.
Und sie berichten davon, dass ihr Leiden auch in den Sozialversicherungen, also insbesondere in der Kranken- und Rentenversicherung, keine Anerkennung findet und sie wie Simulanten behandelt werden.
Übertreiben die Betroffenen nicht vielleicht doch?
Ganz und gar nicht. Wir hören von vielen Schicksalen, bei denen wirtschaftliche Existenzen ganzer Familien wegbrechen, weil Erkrankte nicht mehr arbeiten können und sie langsam aus allen Sozialsystemen herausfallen.
Ich appelliere an die Ärzteschaft, an das Pflegepersonal, aber auch an Ämter und Behörden: Nehmen Sie diese Menschen sehr ernst, gehen Sie angemessen mit ihnen um und helfen Sie, wenn immer es geht!
Das gilt auch für die Jugendämter, schließlich sind auch Kinder und Jugendliche betroffen.
Was muss noch getan werden?
Wir müssen vor allem die Forschung voranbringen. Die im Haushalt 2024 bereitgestellten 150 Millionen Euro können dafür nur ein Anfang sein.
Gefordert ist insbesondere auch das Forschungsministerium von Bettina Stark-Watzinger, das für die Grundlagenforschung zuständig ist.