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Mittwoch, 07 April 2021 09:00

Weltgesundheitstag 2021

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Am 07. April 1948 wurde die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegründet. Anlässlich dieses Gründungsdatums findet jährlich an diesem Tag der Weltgesundheitstag statt. Das Motto in diesem Jahr ist „Building a fairer, healthier world" und setzt den Schwerpunkt auf die gesundheitliche Chancengleichheit (Health Equity). Ziel des Themas ist es dabei, dieses aus der Sicht der WHO vorrangige Gesundheitsproblem ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu rücken. 

Im Jahr 2019 veröffentlichte das WHO Regionalbüro Europa den ersten Sachstandsbericht zum Thema gesundheitliche Chancengleichheit in der Europäischen Region. In dem Bericht wurden 5 kritische Faktoren identifiziert und prozentual errechnet, der den jeweiligen Beitrag der einzelnen Faktoren zur Gesamtlast der Ungleichheit darstellt: 

  • Einkommenssicherheit und soziale Absicherung: 35 Prozent der gesundheitlichen Ungleichheit.
  • Lebensbedingungen wie Wohnen und Grünflächen: 29 Prozent der gesundheitlichen Ungleichheit.
  • Sozial- und Humankapital wie Vertrauen in andere, Bildung und das Ausmaß von Isolation: 19 Prozent der gesundheitlichen Ungleichheit.
  • Zugang und Qualität von Gesundheitsdienstleistungen: 10 Prozent der gesundheitlichen Ungleichheit.
  • Beschäftigung und Arbeitsbedingungen: 7 Prozent der gesundheitlichen Ungleichheit.

Doch wo bleibt da die Chancengleichheit in Bezug auf ME/CFS? Die WHO hat im Jahr 1969 ME/CFS als neurologische Erkrankung (ICD-10: G93.3) eingestuft und obwohl inzwischen über 50 Jahre vergangen sind, werden viele Betroffene immer noch fälschlicherweise für psychisch krank gehalten und bekommen keine oder kontraproduktive Therapien verordnet, wie zum Beispiel Sport, der einen Menschen mit ME/CFS rasch körperlich überlasten kann und im schlimmsten Fall langfristig zur Verschlechterung der Symptome führt.

Leider herrscht auch in Deutschland eine mangelnde Versorgungslage. Ärzte, die sich mit ME auskennen, gibt es in Deutschland selten. Sie sollten es aber. Aus diesem Grund kommt es häufig zu einer Stigmatisierung bzw. falschen Therapien, die bis zur Bettlägerigkeit führen können. Es dauert in den meisten Fällen Jahre, bis die Betroffenen eine Diagnose erhalten und bis dahin haben viele von ihnen schon eine lange Ärzteodyssee hinter sich. Was noch dazu kommt, ist, dass der Großteil der Erkrankten eine „Depression“, ein „Burnout“ etc. diagnostiziert bekommt. Es ist ein medizinischer Skandal, dass diese Krankheit nicht erforscht und über diese Krankheit kein Wort in der medizinischen Lehre gesprochen wird.

 

 

Das Thema Forschung ist ein großes weiteres Problem, da es für ME/CFS in Deutschland so gut wie keine Finanzierung gibt, es wird nichts getan! Es fließt deutlich mehr Geld in Untersuchungen für altersbedingten Haarausfall bei Männern. Wie kann das sein? Andere Länder sind längst weiter mit der Neuorientierung bei ME/CFS. In den USA haben die National Institutes of Health 2021 eine weitere Forschungsinitiative gestartet. ME/CFS-Wissenschaftler werden auch großzügig von privaten Spenden unterstützt.

 

Forschungsstand HIV als Vergleich

  • 1981 erste Berichte über das Auftreten einer neuen Erkrankung bei vormals gesunden, jungen, homosexuellen Männern; ein Jahr später erste Fälle in Deutschland
  • 1985 keine große Rolle in der Gesundheitspolitik, wenig Wissen über die Immunschwäche
  • Bereits Ende 1985 Verteilung einer Broschüre über AIDS (über die Infektion, Schutz und Ansteckungswege) durch das Ministerium
  • 1987 Wende zu einer menschlichen Aids-Politik (weitere Aufklärung sowie Schutz von Betroffenen)
  • 1988 Errichtung eines AIDS Zentrums am Bundesgesundheitsamt (Erhebung und Bewertung epidemiologischer Daten, Verbesserung der HIV-Diagnostik, Koordination der klinischen Forschung und Entwicklung von Bekämpfungsstrategien
  • 1991 rote Schleife („red ribbon“)
  • Mitte der 1990er-Jahre Beginn der ersten Kombinationstherapie (HIV-Forscher David Ho

Heutzutage sind zahlreiche Wirkstoffe gegen HIV und AIDS zugelassen und klinisch im Einsatz. Wo bleibt da die Chancengleichheit in Bezug auf ME/CFS? Die Erkrankung, die schon weit über 50 Jahre existiert, aber es bis heute keinerlei Wirkstoffe, Medikamente oder Therapien gibt, um diese zu lindern bzw. zu heilen.

Als wäre das nicht alles schon schlimm genug, kommen noch Existenzängste dazu, aber nicht „einfach“ nur, weil wir nicht mehr arbeiten gehen können. Viel mehr, weil den Betroffenen oft die Erwerbsminderungsrente nicht anerkannt wird oder viele von ihnen über Jahre dafür kämpfen müssen. Die sozialrechtliche Anerkennung für ME/CFS ist gleich null. Es spielt dabei keine Rolle, ob es um den Schwerbehindertenausweis, den Pflegegrad oder eben die Rente geht. Leider herrscht die Unwissenheit über diese Erkrankung nicht nur im medizinischen Bereich, sondern eben auch im sozialen Bereich (Rentenversicherung, Versorgungsamt, Pflegekasse etc.). So müssen viele kämpfen, obwohl sie eigentlich dafür keine Kraft haben. 

Weiter geht es mit der Namensgebung: eine Erkrankung, die sich „chronisches Müdigkeitssyndrom“ nennt, wird schon allein deswegen von vielen nicht ernst genommen. Der vermutete Pathomechanismus der Erkrankung verschlüsselt sich in ihrem ursprünglichen Namen: „Myalgische Enzephalomyelitis“ - Entzündung von Gehirn und Rückenmark in Verbindung mit Muskelschmerzen. Die erst in den 80er Jahren in deutlich bagatellisierender Absicht eingeführte Bezeichnung „Chronic Fatigue Syndrome (im Deutschen: Chronisches Müdigkeitssyndrom), hat zu völlig falschen Vorstellungen der Erkrankung geführt.

Dies sind nur einige Ungleichheiten in Bezug auf ME/CFS und alle Betroffenen könnten sicher bestätigen, dass wir diese Liste unendlich fortführen könnten, aber diese Punkte sollten schon reichen, um eindeutig zu belegen, dass ME/CFS Erkrankte benachteiligt sind. Genau an diesem Zustand muss sich endlich etwas ändern.

Gelesen 535 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 25 November 2021 11:03
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