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Montag, 01 März 2021 10:12

"Es fühlte sich an, als würde mein Körper nach und nach auseinanderfallen, wie ein altes rostiges Auto." - Eine alleinerziehende Mutter kämpft für ihr Leben

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Ich bin 35 Jahre alt und alleinerziehende Mutter einer 14jährigen Tochter. Seit bald 13 Jahren bin ich erkrankt. Bis heute habe ich keinen behandelnden oder unterstützenden Arzt - ich bin noch nicht mal krankgeschrieben.

Mein ME/CFS-Verlauf war schleichend. Mit 2 Jahren hatte ich mehrere schwere Infekte, mit Einnahme von Antibiotika. Zu dem Zeitpunkt war ich ein Energiebündel und immer in Action.
Plötzlich merkte ich, etwas stimmt nicht mit meinem Körper. Die Treppen kam ich auf einmal nur noch keuchend hoch, als wäre etwas im Organismus, das zerstörend ist. Der Arzt wiegelte ab: "Sie sind ja alleinerziehend."- Untersuchungen folgten keine. Auch nicht bei den Ärzten, die ich in den weiteren Jahren abklapperte.

 Ich versuchte, mit Mutter-Kind-Kur mir selbst zu helfen, aber auch hier ging es mir danach nicht besser, aber ich wurde immer öfter krank. Mein Körper reagierte auf eine Anstrengung sofort mit schwerer Blasenentzündung. Jeden Monat war ich mit einem Infekt krank. Beim Gehen übermannte mich unglaubliche Erschöpfung, als könne ich meinen Kopf nicht mehr tragen und schließlich wurde sogar das Sitzen generell anstrengend. Nur Liegen war noch eine Möglichkeit für mich.

So vergingen die Jahre, ich teilte mir selbst die Energie ein, lag immer wieder Wochen im Bett, ohne zu wissen was mir fehlt. Es fühlte sich an, als würde mein Körper nach und nach auseinanderfallen, wie ein altes rostiges Auto. Immer mehr Symptome folgten, neurologische heftige Schmerzen, Haarausfall und ich musste immer mehr von mir aufgeben, ich konnte mein Leben nicht weiterleben.

Kein Arzt konnte und wollte mir helfen. Ich wurde als depressiv und Hypochonder diagnostiziert, ohne dass ich davon etwas gehabt hätte. Einige Dinge sind auf Nachdruck von mir gefunden worden (Halswirbelinstabilität, enormen Vitaminmangel, Eppstein- Barr etc).

Seit einer Grippe vor einem Jahr hat sich mein Zustand (nach Bell) von 20 auf 10- 5 verschlechtert. Von ME/CFS hatte ich durch meine verzweifelten Recherchen im Internet erfahren und mir war sofort klar, dass ich betroffen bin. Als ich die ersten Zeilen las, musste ich weinen. Denn zum ersten Mal ist beschrieben worden, wie es mir geht. Trotzdem war mir nicht bewusst, wie dramatisch allein diese Krankheit ist und meinte ich müsse noch etwas anderes haben. Als ich nach der Grippe kein Licht und keine Töne aushalten konnte, die Finger nicht heben konnte, um zu tippen oder zu essen, habe ich das ganze Ausmaß erst verstanden.

Ich kann nicht sagen, was schlimmer ist: dieser Zustand, in dem man so sehr gefangen im Körper ist, dass man sich nicht mehr rühren und nicht mehr sprechen kann, oder die Jahre der Angst, in der ich merkte, dass mein Körper sich zerstört und ich nicht wusste, was vor sich geht.

Hätte ich 10 Jahre früher gewusst, dass ich ME/CFS habe, wäre ich aufgeklärt worden, hätte ich durch Pacing bestimmt den schlimmeren Verlauf vermeiden können.

Nun liege ich 24/7 durchgängig und meine Versorgungslage ist katastrophal. Eigentlich steht eine wichtige OP gegen Gebärmutterhalskrebs an, die ich nicht durchführen lassen kann. Durch diese würde ich "crashen" und ich wäre am befürchteten "Ende" auf der Bell-Skala angelangt.

Ich stehe auf der Warteliste bei einem Neurologen, um meine Diagnose schwarz auf weiß zu bekommen. Meine Ärztin schreibt mich nicht krank. Sie sagt, man kann mich nicht krankschreiben, wenn ich mich nicht behandeln lasse. Ich bin beim Arbeitsamt gemeldet und eine unsichtbare Kranke. Meinte Tochter vermisst mich und ich vermisse sie. Auch wenn wir uns jeden Tag sehen, ich ihr alles gebe, was ich noch geben kann, ich bin nicht da.

Trotzdem werde ich weiterkämpfen und mir meinen positiven Fokus behalten. Ich habe Jahre einer Hölle hinter mir, aber ich nehme die Herausforderung dieser zerstörerischen, gnadenlosen Krankheit an. Ich hoffe für alle Betroffenen und mich, dass es bald einen Durchbruch in der Forschung geben wird, ein Umdenken und ein Bewusstsein bei unseren Familien, Freunden, bei den Hausärzten und Neurologen, damit uns der Respekt, die Menschenwürde und die Behandlung zukommt, die uns zusteht.

 

Bild: Shutterstock

Gelesen 2860 mal Letzte Änderung am Montag, 01 März 2021 13:33
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