Nach der Kurznarkose, welche eigentlich ein Routineeingriff für die Ärzte darstellt, stellte sich heraus, dass sich mein Leben für immer verändern sollte. Denn seit meinem Erwachen aus eben dieser Kurznarkose, leide ich unter einer sogenannten totalen retrograden Amnesie. Jeder Tag, jeder Moment, jedes Erlebnis, welches vor dem 19. Mai 2020 stattgefunden hat, ist für mich seitdem nicht mehr existent. Alle Erinnerungen aus der Vergangenheit sind ausgelöscht.
Seitdem geht es mit mir nur noch bergab. Wo ich anfangs noch 60 Minuten spazieren gehen konnte, sind es bereits im September nur noch 30 Minuten. Heute schaffe ich an guten Tagen vielleicht noch 10 Minuten. Die meiste Zeit jedoch habe ich solche Schmerzen in den Beinen und bin so schwach und wackelig unterwegs, dass ich einen Rollstuhl benötige. Selbst einfaches Stehen ist meist zu anstrengend.
Hinzu gesellen sich Symptome wie Kreislaufbeschwerden, starke Übelkeit, Kopfschmerzen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Wortfindungsstörungen, Brainfog, Zittern, einige Unverträglichkeiten sowie sehr ausgeprägte Reisekrankheit. Diese schränken mich insoweit ein, dass ich kein Auto, Bus oder Zug mehr fahren kann, ohne dass mir gleich übel wird, der Brechreiz einsetzt und sich mein Kreislauf verabschiedet.
80% meines Lebens verbringe ich nun im Bett oder auf meinem Sofa. An schlechten Tagen sogar gezwungener Maßen mit einem Hörschutz und einer Augenmaske. Arzttermine kann ich selten, bis gar nicht mehr wahrnehmen. Erstens durch die extrem ausgeprägte Reisekrankheit und zweitens, weil mir die Kraft dafür schlicht weg fehlt.
Daher lebe ich auch bis heute lediglich mit meiner Verdachtsdiagnose ME/CFS vom Hausarzt. Um diese sichern zu lassen, müsste ich einen Neurologen aufsuchen und das ist mir aktuell nicht möglich, geschweige denn realisierbar, da viele Neurologen ME/CFS nicht kennen und/oder diagnostizieren und behandeln.
Manchmal da liege ich also auf der Couch oder im Bett und träume davon, einfach mal wieder eigenständig raus zu können. Die Welt endlich wiedersehen und spüren zu dürfen. Doch es ist und bleibt ein Traum, denn ich bin zu schwach. Jeden Morgen fühlt sich mein Körper an, als wäre ich in der Nacht einen Marathon gelaufen und man hätte mich mit zwei Baseballschlägern ausgiebig bearbeitet. Ich fühle mich kraftlos, erschöpft und müde. Mein ganzer Körper schmerzt und geistig bin ich völlig neben der Spur. Dazu die Übelkeit, Schwindel und Benommenheit. Jeden Tag.
Auch ein Elektrorollstuhl, der es mir wieder ermöglichen würde, eigenständig spazieren zu fahren, wieder zu lokalen Ärzten zu können und etwas mehr am Leben teilzuhaben, wird mir verwehrt. Denn dafür bedarf es eine gesicherte Diagnose von einem Facharzt, zu dem ich so ohne Elektrorollstuhl aber gar nicht hinkomme. Ich lebe also in meinen vier Wänden und beobachte wie mein Leben an mir vorbeizieht. Gefangen und eingesperrt in meiner eigenen kleinen Wohnung, abgeschnitten von der Außenwelt. Das bedeutet ein Leben mit ME/CFS.