Blog

Donnerstag, 08 Juni 2023 15:03

EINE VERBLASSTE MASSE KLAGT AN - ME/CFS Betroffene erheben ihre Stimme für Therapie und Hilfe

geschrieben von
Artikel bewerten
(3 Stimmen)

Text wurde verfasst und veröffentlicht von Judith de Gavarelli (https://www.facebook.com/judith.degavarelli)

"Für unsere Öffentlichkeitsarbeit: ein Text aus meinen ersten Spielen mit einer KI"

EINE VERBLASSTE MASSE KLAGT AN

ME/CFS-Betroffene erheben ihre Stimme für Therapie und Hilfe

Wir klagen an.

Wir sind eine blasse Masse, verschwunden bis zur Unsichtbarkeit, leise bis zur Unhörbarkeit.

Aber wir klagen an.

Wir klagen an aus unseren Betten, aus unseren Sofas, aus unseren Kissen und all den Orten aus denen heraus wir nicht mehr an der Welt teilnehmen können. Wir klagen an aus den weichen Orten, die sich nach Zuflucht anhören, aber für uns Gefängnis sind.

Ist möglicherweise ein Bild von 1 Person und Text „WIR KLAGEN AN MEHR FORSCHUNG, BESSERE THERAPIE UND FINANZIELLE HILFEN FÜR ME/CFS“

Wir klagen die Regierung an, die trotz der riesigen Zahl von Erkrankten nicht genügend in Forschung investiert und die Betroffenen finanziell und in Bezug auf Alltagshilfen im Stich lässt. Wir sind 500.000 Menschen in Deutschland, 17 Millionen weltweit, die an ME/CFS leiden, einer schweren neuroimmunologischen Erkrankung, die uns zu Schatten unserer selbst macht. Wir sind eine verlorene Masse, die keine Zukunft hat, weil wir keine Gegenwart haben.

Wir klagen die Ärzte an, die uns nicht ernst nehmen, uns als Simulanten darstellen und uns schädliche, überlastende Therapien verordnen oder uns als "nur psychisch krank" diffamieren. Wir sind keine Faulenzer, keine Hypochonder, keine Lustlosen. Wir sind krank, wirklich krank, und wir brauchen Hilfe, nicht Spott oder Schuldzuweisungen. Wir haben eine Post-Exertional Malaise, die uns nach jeder noch so kleinen Anstrengung quält und unsere Symptome verschlimmert. Wir haben Schmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Herzrasen, Schwindel und vieles mehr. Wir sind nicht müde, wir sind erschöpft bis ins Mark.

Wir klagen die REHA-Einrichtungen an, die sich mit der Erkrankung nicht auskennen, Betroffene als Therapieverweigerer brandmarken und die Erkrankung verschlimmern, indem sie Kranke zu überlastenden Therapien nötigen und bleibende Verschlimmerungen auslösen. Wir sind keine Unwilligen, keine Unfähigen, keine Unbelehrbaren. Wir sind krank, wirklich krank, und wir brauchen Ruhe, nicht Anstrengung. Wir haben eine Belastungsintoleranz, die uns nach jeder Aktivität heimsucht und unsere Beschwerden verstärkt. Wir haben eine orthostatische Intoleranz, die uns im Sitzen oder Stehen schwindelig und übel macht. Wir haben eine Reizempfindlichkeit, die uns Lärm, Licht und Gerüche unerträglich macht. Wir sind nicht faul, wir sind namenlos erschöpft.

Wir klagen die Krankenkassen an, wegen denen wir nicht nur Therapien sondern auch Feindiagnostik selbst bezahlen müssen und weniger finanzstarke Menschen sich weder Hilfen noch Behandlungen leisten können. Wir sind arm gemacht worden durch eine Krankheit, die uns unsere Arbeit, unsere Freunde, unsere Hobbys und unsere Teilhabe am Leben genommen hat. Wir sind isoliert und vergessen worden von einer Gesellschaft, die uns nicht sehen will.

Wir klagen die Anwälte und Gutachter an, die sich nicht über ME/CFS informieren, vorurteilsbeladen urteilen, die Schwere der Erkrankung bagatellisieren und Arbeitsfähigkeiten unterstellen, die wir nicht ansatzweise haben. Wir sind keine Lügner, keine Betrüger, keine Sozialschmarotzer. Wir sind krank, wirklich krank, und wir brauchen Schutz, nicht Angriff. In unserer Schutzlosigkeit werden wir angegriffen von Schlechtachtern, die unsere Erkrankung verharmlosen. Von Nichtachtern, die unsere Erkrankung leugnen. Von Missachtern, die unsere Erkrankung missverstehen oder ihre Macht missbrauchen. Wir haben eine Rechtlosigkeit, die uns in die Armutsfalle treibt: Wir bekommen keine angemessene Rente, keine notwendige Pflege- oder Behindertengrade, keine ausreichende Unterstützung. In den Gefängnissen unserer Betten ruhen wir uns nicht aus, sondern zittern am Abgrund der materiellen Existenz.

Wir klagen an.

Wir sind eine blasse Masse, aber wir haben eine Stimme.

Wir sind verschwunden bis zur Unsichtbarkeit, aber wir haben ein Gesicht.

Wir sind leise bis zur Unhörbarkeit, aber wir haben eine Botschaft.

Wir klagen an.

Und wir fordern.

Wir fordern Forschung, Therapie und Hilfen.

Wir fordern für unser Leben.

Gelesen 1917 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 08 Juni 2023 15:23
Mehr in dieser Kategorie: « Wir erzählen eure Geschichte!

1 Kommentar

  • Kommentar-Link Stephanie Donnerstag, 08 Juni 2023 19:09 gepostet von Stephanie

    Ein sehr gut geschriebener Text.
    Können wir den Text bitte einem Sänger geben, der dann ein Lied daraus macht, was radiofähig ist, damit es alle Leute jeden Tag hören können?

Bitte anmelden, um einen Kommentar zu posten