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Samstag, 22 Januar 2022 10:15

ME/CFS und Mutter sein?

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Erfahrungsbericht einer Mutter

Über diese Bedeutung mit allen Facetten könnte ich mittlerweile ein Buch schreiben.

Zu Beginn möchte ich aber klarstellen, dass dies keinerlei Wertung gegenüber Erkrankten ist, die sich ganz bewusst dafür entscheiden, eine Familie zu gründen.

Als ich Mutter wurde und eine Familie gegründet habe, war ich noch "gesund". So kann ich zumindest auf einige Jahre zurückblicken, die mit dem ganz normalen Wahnsinn zu vergleichen sind. Von schlaflosen Nächten, Nervenzusammenbrüchen, aber auch unendlich viel Glück und Zufriedenheit.

Das ist nun mit ME/CFS alles anders, bis auf die Nervenzusammenbrüche und schlaflosen Nächte.

Ich komme täglich über meine Grenzen, Pacing ist nur sehr schwer umzusetzen.

Warum?

Kinder haben Bedürfnisse, denen ich nicht mehr gerecht werden kann.

Sei es Hilfe bei den Schulaufgaben. Immer ein offenes Ohr haben. Mit den Kindern zum Arzt gehen. Ihnen eine leckere Mahlzeit zubereiten. Sie auf ihrem Lebensweg unterstützen. Ihnen das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu geben. Urlaube, Ausflüge, Hobbys...

Die Liste ist unglaublich lang.

Situationen und Aufgaben, die eigentlich selbstverständlich sind.

Nun bekommt man tolle Ratschläge, sich Hilfe zu holen, klar, ohne funktioniert es auch nicht. Sätze wie "Du bist so stark, du schaffst das." oder "Du bist doch immer da und liebst die Kinder."

Ja das tue ich, aber "Liebe" allein reicht in diesem Fall leider nicht aus.

Wie Kinder sich dabei fühlen und welche "Defizite" sie davontragen, darüber macht sich fast keiner Gedanken.

Meine Kinder leiden sehr, weil ich ihnen als wichtigste Person nicht das geben kann, was sie brauchen. Vertrauen und Sicherheit!

Unser Leben ist auf sehr wackeligen Stelzen gebaut, nie kann man sagen, was heute kommt, nie weiß ich, ob ich heute ein offenes Ohr haben kann und allem gerecht werde.

Auch Kinder werden mal krank, wer versorgt sie dann? Wer fährt mit ihnen so spontan zum Arzt?

Das alles muss man organisieren, mit der letzten Kraft des Tages.

Kinder müssen dadurch sehr schnell erwachsen werden, zu schnell, wie ich finde.

Viele denken jetzt sicher: dann muss der Vater/Partner sich mehr kümmern.

Ja das tut er, jeden Tag zu 200%.

Aber auch er ist kein Superman und kann nicht allem gerecht werden, auch wenn es in seiner Vorstellung sein größter Wunsch wäre.

In letzter Zeit gehen mir hierzu viele Gedanken durch den Kopf.

Wie mein Leben mit ME/CFS wohl verlaufen wäre, wenn ich allein wäre, mich nur um mich kümmern müsste?

Ob es mir vielleicht schon besser ginge?

Erkrankte die allein leben, begegnen mir bei diesem Gedanken eher mit Missgunst und Unverständnis.

Da kommen Sätze: "Sei froh, dass du einen Partner und Kinder hast, so hast du doch immer Hilfe." oder "Ich hätte das auch so gerne."

Das sind Sätze, die mir sehr weh tun, da meine Familie diesen Weg gehen muss. Meine Kinder wurden nie gefragt. Und diese unglaubliche Last, die sie in ihren jungen Jahren tragen müssen, ist alles andere schön. Für mich, wie auch für meine Familie nicht.

Es ist und bleibt eine Herausforderung, für die unsere Gesellschaft blind ist.

Zu allem Unverständnis kommen oft noch finanzielle Sorgen und Ungerechtigkeit.

Wir Mütter/Väter leisten Großartiges, stellen uns und unsere Bedürfnisse in den Hintergrund, um unseren Kindern wenigstens ein bisschen das Gefühl zu geben, für sie da zu sein.

Auch mit dem Wissen, dass wir dadurch nur noch kränker werden.

 

Möchtest auch du deine Erfahrungen über das Elternsein mit anderen Betroffenen teilen? Dann melde dich gern bei uns.

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